Achtsamkeit für Kinder und Jugendliche
Im Hier und Jetzt sein – so lautet die Idee der Achtsamkeit. Wie genau aber ist das gemeint? Brigitte Münzer, unsere Kollegin vom Sozialdienst, führt regelmäßig ein Achtsamkeitstraining mit Patienten auf der Station 7A durch. Im Interview erklärt sie, was das Prinzip der Achtsamkeit so spannend macht und wie Jugendliche von dem Training profitieren können.
Was ist Achtsamkeit?
Bei der Achtsamkeit geht es um das Hier und Jetzt. Achtsam sein bedeutet, die eigene Aufmerksamkeit auf den gegenwärtigen Moment zu lenken, ganz präsent im Augenblick zu sein und die Umwelt mit allen Sinnen wahrzunehmen – und zwar ohne Bewertung.
Ohne Bewertung – wie ist das gemeint?
Achtsam sind wir, wenn wir ausschließlich wahrnehmen, was gerade ist. Was sehe ich? Was spüre ich? Was rieche ich? Wie geht es mir gerade? Wo wandern meine Gedanken hin? Dabei spielt es erst einmal keine Rolle, ob ich einen bestimmten Duft angenehm finde, ob ich meine Umgebung mag. Es geht auch nicht darum, das eigene Befinden zu hinterfragen, ich mache es mir nur bewusst.
Wann bin ich nicht achtsam?
Wenn meine Gedanken nur um die Vergangenheit kreisen oder ich permanent Zukunftspläne mache, kann es passieren, dass ich dadurch das Gegenwärtige nicht wirklich wahrnehme. Ebenso, wenn ich zig Dinge gleichzeitig tue, statt mich auf eine Sache zu fokussieren. Es wiederspricht außerdem dem Prinzip der Achtsamkeit, sich im Grübeln zu verlieren und die eigenen Gedanken direkt als Wahrheit zu bewerten. Im Achtsamkeitstraining geht es darum, zu lernen: Gedanken sind erst einmal nur Gedanken.
Achtsamkeit können wir also lernen?
Absolut, Übung macht den Meister. Es gibt viele unterschiedliche Möglichkeiten, Achtsamkeit zu trainieren – mit sehr aktiven Übungen, mit Entspannungsübungen, Übungen die auf die Körperwahrnehmung oder die Sinneswahrnehmung abzielen. Das schöne: Die Übungen lassen sich immer gut in den Alltag integrieren.
Können Sie da konkrete Beispiele nennen?
Beim Bodyscan unternehme ich beispielsweise eine Reise durch meinen Körper, nehme nach und nach alle meine Körperteile wahr. Oder ich konzentriere mich auf einen Gegenstand in meiner Umgebung und beschreibe ihn innerlich, achte auf Formen, Farben und Details. Bei Atemübungen lerne ich, mich auf meinen Atemrhythmus zu fokussieren. Ich kann zum Beispiel beim Einatmen bis vier, und beim Ausatmen bis sechs zählen. Das wirkt beruhigend. Es ist außerdem unmöglich, gleichzeitig zu denken und kontrolliert zu atmen – Achtsamkeit kann unter anderem also als Gedankenstopp dienen.
Wie können Jugendliche ansonsten davon profitieren, Achtsamkeit zu trainieren?
Jugendliche sind meist mit einer ziemlich herausfordernden Gefühlswelt konfrontiert. Da gibt es viele Grübeleien, viel Kopfkino. Durch das Achtsamkeitstraining lernen sie, in herausfordernden Momenten kurz innezuhalten und sich der Situation bewusst zu werden, bevor sie handeln. Auch die Erkenntnis, dass die eigenen Gedanken nur Gedanken sind und nicht unbedingt der Wahrheit entsprechen, kann dabei helfen, die innere Aufruhr zu beruhigen. Ich bin meinen Gefühlen dadurch nicht so ausgeliefert. Achtsamkeitstraining kann ebenso die Selbstwahrnehmung sowie die Konzentrationsfähigkeit bei Jugendlichen fördern und Stressempfinden reduzieren.
Kann Achtsamkeit auch bei psychischen Erkrankungen hilfreich sein?
Achtsamkeitstraining kann sehr gut therapieunterstützend eingesetzt werden. Es gibt für unterschiedliche psychische Erkrankungen auch ganz spezielle therapeutische Achtsamkeitsübungen. Grundsätzlich können sich ganz verschiedene Aspekte der Achtsamkeit positiv auf Jugendliche mit psychischen Erkrankungen auswirken. Zu lernen, sich auf bestimmte Dinge, das eigene Befinden zu fokussieren, stärkt die Selbstwahrnehmung. Achtsam zu sein kann beispielsweise auch dabei helfen, auf eigene Frühwarnzeichen rechtzeitig aufmerksam zu werden.
Sie führen regelmäßig ein Achtsamkeitstraining auf der Station 7A durch. Wie nehmen die Jugendlichen das Angebot an?
Auf der Station 7A ist das Achtsamkeitstraining ein Modul des Skillstrainings. Für die Jugendlichen ist immer wichtig zu wissen: Was bringt mir das? Für manche sind Achtsamkeitsübungen erst einmal komisches Zeug, das sie nicht kennen und mit denen sie auf den ersten Blick nicht viel anfangen können. Es bedarf also viel Erklärung, welchen Sinn die Übungen haben. Dann gelingt es den Patienten aber in der Regel, sich auf das Training einzulassen und, ganz wichtig, Spaß daran zu haben.