Wenn die Gedanken kreisen
Ständiges Grübeln und kreisende Gedanken können für Kinder und Jugendliche sehr belastend sein. Was kann helfen? Das erklären unsere Kolleginnen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen Carina Grosser und Marit ten Voorde im Interview.
Wenn Gedanken kreisen – was ist darunter zu verstehen?
Carina Grosser: Wir erleben es bei unseren jungen Patientinnen und Patienten sehr häufig, dass sie beispielsweise abends nicht einschlafen können, weil negative Gedanken sie quälen. Die Kinder und Jugendlichen grübeln dann oder machen sich Sorgen. Sie können nicht aufhören, über ein bestimmtes Thema oder eine bestimmte Situation nachzudenken. Die Gedanken kreisen und werden immer beängstigender. Bei Depressionen, Essstörungen, emotionalen – oder Angststörungen ist ein solches Grübeln oft eine Begleiterscheinung.
Marit ten Voorde: Sich mit bestimmten Themen gedanklich auseinanderzusetzen, muss erst einmal nicht negativ sein. Das kann auch dazu führen, dass Betroffene sich sagen: „Ich möchte nun etwas ändern“. Geht es allerdings nur um selbstkritische und selbstabwertende Gedanken, die einen nicht mehr loslassen, ist das für Kinder und Jugendliche auf Dauer sehr belastend.
Können Sie anhand eines Beispiels beschreiben, wie so ein Kreisen der Gedanken zustande kommen kann?
Marit ten Voorde: Da kann schon eine kleine Meinungsverschiedenheit mit einer Freundin ausreichen. Denkt die Jugendliche abends noch einmal über die Situation nach, erscheint diese schlimmer und schlimmer. „Vielleicht verliere ich meine Freundin“, „Vielleicht mögen mich dann auch die anderen nicht mehr“, „Bestimmt ist sie nun traurig wegen mir“, können Grübeleien sein, die aufkommen. Wichtig wäre, sich zu sagen: „Das hilft mir gerade nicht weiter. Ich rede morgen mit ihr.“ Aber das fällt vielen Kindern und Jugendlichen schwer, sie können die Grübeleien nicht stoppen.
Was kann helfen, wenn die Gedanken wieder einmal kreisen?
Carina Grosser: Startet das Gedankenkarussel, kann es helfen, sich immer wieder zu sagen: Das sind nur Gedanken. Sie spiegeln nicht die Realität wieder. Ebenso kann ein gezieltes Aufmerksamkeits- und Achtsamkeitstraining bewirken, dass Kinder und Jugendliche in solchen Moment wieder mehr Handlungsfähigkeit erhalten. Was sehe ich gerade? Was rieche ich gerade? - Sich auf den gegenwärtigen Moment zu konzentrieren, kann das Kreisen von Gedanken gut durchbrechen.
Marit ten Voorde: Anderen Betroffenen tut es gut, sich in solchen Situationen abzulenken, beispielsweise mit Musik oder einem Buch. Ebenso kann es sinnvoll sein, Tagebuch zu schreiben und die Gedanken hier festzuhalten, um sie sozusagen auf diese Art und Weise erst einmal aus dem Kopf zu bekommen, sich frei davon zu machen.
Grosser: Manchen Kindern und Jugendlichen hilft es, sich gedanklich ein Stoppschild vorzustellen, also ein inneres Bild zu kreieren. Oder sie stellen sich eine Box vor, in der sie die Gedanken erst einmal einschließen. Zu einem anderen Zeitpunkt kann diese Box dann wieder geöffnet werden – aber ganz gezielt und geplant. Solche Übungen trainieren wir mit vielen Patientinnen und Patienten regelmäßig – dabei kommt es immer ganz individuell auf jede Patientin und jeden Patienten an, was ihr oder ihm in Momenten kreisender Gedanken wirklich guttut.