„Das möchte ich auch schaffen“ – Die Suchtgruppe auf der Station „7C – Spurwechsel“
„Ich bewundere dich, weil du es jetzt schon so lange geschafft hast, clean zu bleiben, weil du inzwischen echt eine Powerfrau bist. Das möchte ich auch schaffen“, lobt Lea (*Name geändert) ihre Mitpatientin Miriam (*Name geändert). In der Suchtgruppe, die zwei Mal in der Woche auf der Station „7C-Spurwechsel“ stattfindet, ist die Komplimente-Runde ein festes Ritual. „Positive Rückmeldungen sind wichtig für den Selbstwert. Die Jugendlichen haben durch ihren Konsum meist viele Erfahrungen mit Vorwürfen und Selbstvorwürfen gemacht. Da tut es gut, etwas Nettes zu hören“, erklärt Janine Vörding. Die Erzieherin war an der Konzeption des Gruppenangebots maßgeblich beteiligt und leitet sie regelmäßig. In einer vertrauensvollen und wertschätzenden Atmosphäre können die Jugendlichen sich mit ihrer Suchterkrankung auseinandersetzen: Wie hat der Drogenkonsum ihr Leben beeinflusst? Wie sehen die gesundheitlichen Folgen aus? Welche Strategien helfen, um clean zu bleiben? Sie werden dabei als Experten ihrer Sucht gesehen. Im Rahmen des Gruppenangebots können sie ihre Erfahrungen miteinander teilen, sich austauschen, sich motivieren. Die Teilnahme ist freiwillig.
„Es ist anstrengend, sich mit sich selbst und dem eigenen Konsum zu beschäftigen, sich anderen gegenüber zu öffnen. Nach der Suchtgruppe war ich oft ganz schön fertig, das macht halt was mit einem. Ich habe dann aber verstanden: Ich verarbeite das alles jetzt gerade, auf lange Sicht wird das helfen“, so Miriam. Die 15-jährige war fast ein halbes Jahr lang auf der Station Spurwechsel, eine ganz schön lange Zeit. „Anfangs dachte ich, das hilft doch eh nicht. Aber ich habe durch die Suchtgruppe viel gelernt.“
Die Suchtgruppe - "Die beste Droge ist ein klarer Gedanke"
Heute nimmt Miriam zum letzten Mal an der Suchtgruppe teil, denn bald ist ihre Zeit auf Spurwechsel vorbei. Das Besondere an diesem Tag: Miriam leitet die Gruppe gemeinsam mit Janine Vörding. Zusammen haben sie überlegt, welche Themen sie mit den Teilnehmenden besprechen und welche Übungen sie mit ihnen machen möchten. Miriam hat diese Aufgabe sehr ernst genommen, mit großer Sorgfalt hat sie alles vorbereitet.
Die Suchtgruppe findet in dem großen hellen Aufenthaltsraum der Station Spurwechsel statt. An der Wand hängt ein von Patient:innen gestaltetes Bild mit einem Spruch: „Die beste Droge ist ein klarer Gedanke“. Nach und nach betreten die Jugendlichen, fünf Mädchen und ein Junge, den Raum, machen es sich auf den gemütlichen Sitzpolstern bequem, quatschen miteinander, wirken zumindest für den Moment relativ entspannt. Miriam setzt sich auf einen Stuhl, direkt neben Janine Vörding. Auf dem Holzpaletten-Tisch in der Mitte liegen mehrere verdeckte Karten. Was da wohl drauf steht?
Janine Vörding beginnt die Suchtgruppe, wie immer, mit einer kurzen Befindlichkeitsfrage, dann werden die Gruppenregeln wiederholt: Ausreden lassen, nicht über andere lachen, alles was hier besprochen wird, wird vertrauensvoll behandelt.
Die Gruppe startet mit der ersten Übung. Nacheinander nehmen die Jugendlichen jeweils eine Karte vom Tisch, lesen die Frage, die dort steht, laut vor und beantworten sie – vorausgesetzt sie möchten. „Wie wichtig sind dir Klamotten?“, „Wann hast du das letzte Mal geweint?“ oder „Wovor hast du Angst?“, steht da zum Beispiel. Die Beantwortung fällt nicht immer leicht, die Jugendlichen sprechen jedoch sehr offen miteinander. „Die Drogen haben ja schon Probleme gelöst“, meint jemand aus der Gruppe. „Das denkst du nur für den Moment, aber auf Dauer gesehen, löst du deine Probleme damit bestimmt nicht“, gibt Miriam zu bedenken.
Es hat sich ein Suchtgedächtnis gebildet
Nach der Übung fragt Janine Vörding alle Teilnehmenden nach ihrem derzeitigen Suchtdruck, auf einer Skala von eins bis zehn. Bei manchen ist er gerade eher gering, bei anderen dagegen ziemlich hoch. „Schon bei sechs oder sieben“, meint Niko (*Name geändert). Auf die Frage, warum das so sei, kann er nicht wirklich antworten. Nicht alle Jugendlichen sind aus Eigenmotivation auf der Station. Manchmal ist ein Entzug die letzte Möglichkeit, um nicht den Rückhalt der Familie zu verlieren oder um nicht in den Jugendarrest zu kommen. In der Suchtgruppe kann es daher auch darum gehen, die Abstinenzmotivation erst aufzubauen.
Es geht weiter mit der nächsten Übung. Diese lautet: „Wörterbuch der Drogen“. Die Jugendlichen schreiben Begriffe auf, die sie während ihrer Konsumzeit täglich verwendet haben. Ob „Braunes“, „Ticker“, „sich was reinballern“, „drücken“ oder „sniefen“ – die Szenesprache ist vielfältig. „Schon komisch, wie normal es für mich war, diese Wörter zu benutzen“, reflektiert eine der Patientinnen. Es wird deutlich, dass Drogen wie Cannabis, Heroin, Koks oder Schmerzmittel zum Alltag der Jugendlichen gehört haben. Es hat sich ein Suchtgedächtnis bei ihnen gebildet – es gilt zu lernen, damit umzugehen, wenn es anspringt. Schließlich startet die letzte Übung. Da die Jugendlichen sich letzte Woche gewünscht haben, auch über andere Themen als über ihre Sucht zu sprechen, geht es nun darum, aufzuschreiben, was sie besonders gerne mögen, wie sie ihre Freizeit gerne verbringen.
Wie immer, endet die Suchtgruppe mit der Komplimente-Runde. Eines wird deutlich: den Jugendliche fällt es wesentlich leichter, Komplimente zu machen, als welche anzunehmen. Als Miriam den Ball zugeworfen bekommt, der besagt, dass sie nun an der Reihe ist, nutzt sie die Gelegenheit, um jedem Teilnehmenden etwas Nettes zu sagen. Ein emotionaler Moment, eine Patientin fängt leicht an zu weinen, die anderen wirken sichtlich bewegt. Es herrscht eine gewisse Verbundenheit im Raum, denn alle haben das gleiche Ziel: Eine Perspektive ohne Drogen zu schaffen. Die Teilnahme an der Suchtgruppe ist gewiss ein guter Schritt, um diesem Ziel näher zu kommen.